Gemeinnützigkeit – der nimmersatte Löwe
Philip Scherenberg, Kommentar,
Dass die EU die Wettbewerbsverzerrung durch die deutsche Gemeinnützigkeit zum Thema macht, ist wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit. Was werden die Folgen sein, wenn die staatliche Subventionierung von Gemeinnutz in Deutschland als unvereinbar mit den Regelungen im einheitlichen Wirtschaftsraum Europa bewertet wird?

In Deutschland halten wir Gemeinnützigkeit für eine Selbstverständlichkeit. Bisweilen auch als sozialen Kitt, der die Gesellschaft im Innersten zusammenhält. Warum eigentlich? Was würde passieren, wenn wir auf Gemeinnützigkeit verzichten müssten? Vorab: Die Menschen wären immer noch nett zueinander. Vielleicht sogar noch netter.

Wenn die EU die Gemeinnützigkeit in Deutschland abschaffte, würden bislang gemeinnützig tätige Organisationen selbstverständlich nicht ihren Zweck oder ihre Existenzberechtigung verlieren, sondern unverändert dem Gemeinwohl dienen – also gemeinnützig bleiben. Ändern würde sich nur der steuerrechtliche Sonderstatus – also die staatliche Subvention.

Gemeinnützige Organisationen könnten in der Folge keine Spendenbescheinigungen mehr ausstellen. Die Spender könnten ihre Zuwendungen nicht mehr vom zu versteuernden Einkommen abziehen und das Spendenvolumen würde zurückgehen. Die Steuereinnahmen dagegen würden hierdurch automatisch steigen. Die öffentliche Hand würde hierdurch über mehr Mittel verfügen, die sie wiederum in den sozialen Sektor geben könnte. Könnte. Einerseits eine gute Entwicklung, andererseits aber auch nicht unkritisch. Denn der Staat verteilt seine direkten sozialen Förderungen nach derart komplizierten Verfahren, dass der Empfängerkreis ein elitärer Club ist, zu dem nur Zutritt hat, wer sich entsprechende Rechtsberatung leisten kann.

Dies könnte dafür sprechen, dass sich die Clubmitglieder für eine Abschaffung der Gemeinnützigkeit einsetzen müssten. Aber stärker als der Drang zum Geld wäre dann wahrscheinlich doch der Drang zur Unabhängigkeit von staatlicher und öffentlicher Kontrolle. Die derzeitige indirekte Förderung durch Steuersubventionierung entbindet nämlich von jeglicher Verpflichtung, die tatsächliche Wirksamkeit der subventionierten Maßnahmen nachzuweisen. Gemeinnutzen in Deutschland stiftet per definitionem, wer als gemeinnützig anerkannt wird. Und wer gemeinnützig ist, entscheidet allein das Finanzamt – auf Basis der vorgelegten Satzung.

Durch die indirekte Steuersubventionierung werden Förderer (also der Steuerzahler) und Geförderter voneinander entkoppelt. Verstärkt wird diese Entkopplung dadurch, dass die Mehrzahl gemeinnütziger Organisationen ihre Bilanzen nicht offenlegen müssen. Weder weiß der Steuerzahler also, was die von ihm unfreiwillig geförderten Organisationen genau tun, noch weiß er, wie viel seiner Förderung sie eigentlich beanspruchen.

Für die subventionierten Organisationen ist dies ein geradezu paradiesisches Ökosystem. Da scheint es nicht überraschend, dass das niedliche Kätzchen Gemeinnützigkeit über die Zeit zu einem nimmersatten Löwen mutiert ist, der inzwischen veritable Stücke aus dem Leib der Staatsfinanzen reißt, ohne dass irgendjemand kontrollieren könnte, was mit dem ganzen Geld eigentlich genau gemacht wird. Wenn aber alles, was gemeinnützig ist, auf ewig gemeinnützig bleibt, weil es eben schon einmal als gemeinnützig anerkannt wurde, dann wird auch künftig subventioniert werden, wer eine juristisch korrekte Satzung abliefert statt tatsächlichem Gemeinnutzen.

Wäre es wirklich so schlecht, wenn sich hieran etwas änderte?

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