Mit gleichem Mitteleinsatz ließen sich also mit dem einen Mentorenprogramm etwa zehnmal so viele Kinder erreichen wie mit dem anderen. Hinzu kam, dass die Wirksamkeit von Balu und Du besser belegt war.
Dass man als Förderer versucht, lieber mehr Kinder besser als weniger Kinder schlechter zu erreichen, versteht sich ja von selbst. Insofern verstand sich unsere Entscheidung auch von selbst.
Denkt man. War aber nicht so.
Ein Sturm der Entrüstung brach über uns herein, als wir Mentoren und den Familien der Mentees mitteilten, dass das Programm mit einer Karenzzeit von 15 Monaten beendet werden sollte. Woher kam der Sturm? Zu unserer großen Überraschung in erster Linie von ehrenamtlichen Mentoren, die ihre Schützlinge bereits seit Jahren begleitet hatten. Genau von den Menschen also, von denen wir überzeugt waren, dass sie die Unterstützung des Programms ohnehin nur noch in Ausnahmefällen benötigten, um ihrem Ehrenamt nachzukommen.
Wie wir in einer Reihe von Gesprächen mit langjährigen Mentoren herausfanden, waren sie aber gar nicht besorgt, dass durch das Programmende konkrete Unterstützungsleistungen wegfallen würden. Stattdessen beklagten sie den Verlust gemeinsamer Veranstaltungen, in denen man sich mit anderen Mentoren treffen und austauschen konnte. Sommerfeste zum Beispiel. Oder Schnitzeljagden. Oder Stammtische.
In einer 2010 veröffentlichten Studie hat die Caritas in Köln beispielhaft untersucht, wer die Nutznießer ehrenamtlichen Engagements in einem Krankenhaus sind. Der Befund: Mehr als Patienten, Angehörige oder Angestellte profitieren vom ehrenamtlichen Engagement … die Ehrenamtlichen selbst. Dies ist erst einmal nicht ehrenrührig. Im Gegenteil: Wenn die Ehrenamtlichen selbst unmittelbar von ihrem Ehrenamt profitieren, bietet dies doch exzellente Voraussetzungen dafür, dass sich Ehrenämter langfristig und nachhaltig in unserer Gesellschaft verankern lassen.
Sollten sich unsere anekdotischen Befunde und die Ergebnisse der Caritas-Studie in der Breite bestätigen, böten sie jedoch auch eine vielversprechende Chance zu einem veränderten Umgang mit dem Ehrenamt. Statt sich in nie endender Dankbarkeit vor ihren Ehrenamtlichen zu verneigen und nicht unbeträchtliche Ressourcen einzusetzen, um jene bei bester Laune zu halten, könnten Non-Profit-Organisationen künftig selbstbewusster gegenüber ihren Helfern auftreten: „Du gibst mir deine Zeit und ich gebe dir Sinn.“ So verstanden ließen sich das eine oder andere Sommerfest, die Schnitzeljagd oder der Stammtisch in die Selbstverantwortung der Ehrenamtlichen übertragen, während sich die Non-Profit-Organisation künftig weniger um die Ausgestaltung eines angenehmen Vereinslebens kümmern müsste – und stattdessen mehr um die Probleme, zu deren Lösung sie eigentlich angetreten war.